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Interview mit Horst Möller
30. Todestag von Franz Josef Strauß

Autor: Prof. Dr. Diane Robers

30 Repräsentanzen weltweit; vielfältige Partnerregionen; Förderung durch höchste politische Ebenen auch in Brüssel; Bayern unterstützt seine Unternehmen im Rahmen internationalen Rechts. Der ewige Landesvater, Franz-Josef Strauß hat diese Strukturen während seines 10-jährigen Wirkens als Ministerpräsident mit aufgebaut. Zu seinem 30. Todestag am dritten Oktober haben wir für Sie den Strauß-Experten Horst Möller interviewt.

Franz Josef Strauß am Schreibtisch in der Staatskanzlei

Franz Josef Strauß am Schreibtisch in der Staatskanzlei

Winfried Rabanus; ACSP; ACSP, Rabanus Winfried 152-10-26

Mit seinem weltweiten Netzwerk aus 30 Repräsentanzen unterstützt der Freistaat bayerische Unternehmen vor Ort bei der Erschließung neuer Märkte, mittels Regierungschefkonferenzen mit Bayerns Partnerregionen werden gemeinsame Wirtschafts- und Wissenschaftsprojekte auf den Weg gebracht und über Bayerns Vertretung in Brüssel bayerische Interessen bei der Europäischen Union eingebracht. Im Rahmen des Bayerischen Jubiläumsjahres 2018 ließ die Akademie für Politik und Zeitgeschehen ein Expertenpodium die vergangenen und gegenwärtigen Außenbeziehungen des Freistaats bewerten. Dabei wurde deutlich, dass Bayern nicht nur im Bund und in Europa eine wichtige gestaltende Rolle spielt, sondern auch als „Global Player“ weltweit politische und wirtschaftliche Beziehungen ausbaut und seine Interessen vertritt.

Als ein die Außenbeziehungen Bayerns prägender Faktor wurde immer wieder auf Franz Josef Strauß verwiesen, der als bayerischer Ministerpräsident von 1978 bis zu seinem Tod 1988 nicht nur das Gesicht des Freistaates im Bund, sondern durch seine teils spektakulären Auslandsreisen auch über Europas Grenzen hinweg prägte. Anlässlich des 30. Todestages des bayerischen Ausnahmepolitikers haben wir in einem Interview mit Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Möller die Person Franz Josef Strauß und sein Wirken in Bayern, im Bund und in der Welt erörtert. 

Möller spricht, Hände erklärend bewegend

Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Möller studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Göttingen und Berlin. Seine Promotion (1972) und Habilitation (1978) erhielt er von der Freien Universität in Berlin. 1977-1978 war er als Mitarbeiter von Bundespräsident Walter Scheell in Bonn tätig, ehe er als stellv. Direktor an das Institut für Zeitgeschichte in München wechselte. 1982-89 war er Professor für Neuere Geschichte an der Universität Erlangen, von 1989-93 Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris. 1992 kehrte Möller erneut an das Institut für Zeitgeschichte nach München zurück, das er bis 2011 als Direktor leitete. Zu seinen Publikationen zählen zahlreiche Buch- und ca. 350 Aufsatzveröffentlichungen zur deutschen, französischen und europäischen Geschichte des 17. – 20. Jahrhunderts sowie Herausgeber- bzw. Mitherausgeberschaften mehrerer Buchreihen. Neben mehreren Ehrendoktorwürden wurden ihm im Laufe der Zeit zahlreiche hochrangige Auszeichnungen verliehen, da-runter u.a. das Bundesverdienstkreuz I. Klasse (1987), der Prix France-Allemagne durch das franzöische Außenministerium (1996) und der Bayerische Verdienstorden (2007).

Witte; HSS

HSS: Franz Josef Strauß, der 1935 als Jahrgangsbester ganz Bayerns sein Abitur gemacht hatte und mit einem Hochbegabten-Stipendium der Stiftung „Maximilianeum“ an der Universität München u.a. Geschichte und Altphilologie studiert hatte, war ein umfassend gebildeter, auch naturwissenschaftlich beeindruckend sachkundiger Akademiker und Politiker. Aus welchen Quellen schöpfte Strauß sein enzyklopädisches Wissen?

Horst Möller: Franz Josef Strauß war seit seiner Jugend ein Mensch unersättlichen Wissensdurstes und intellektueller Neugier. Seine hohe Intelligenz paarte sich mit intensivem Lerneifer, der sich nicht allein auf seine eigenen Studienfächer Geschichte, Altphilologie und Volkswirtschaft erstreckte, sondern bis zu den Naturwissenschaften reichte. So büffelte er als Atomminister physikalische Lehrbücher, als Abgeordneter nahm er ein Studium der Volkswirtschaft und Finanzwissenschaft auf, noch in hohem Alter schrieb er neue englische oder französische Vokabeln auf. Nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl 1986 hielt er im Bayerischen Landtag eine Rede, die an substantieller Kompetenz alles überragte, was spätere Politiker zu dieser oder ähnlicher Thematik geäußert haben.

HSS: Franz Josef Strauß gehörte der Bundesregierung als Bundesminister für besondere Aufgaben, Bundesminister für Atomfragen, Bundesminister der Verteidigung und Bundesminister der Finanzen an. In welchem Ressort hat er die Geschicke der Bundesrepublik am nachhaltigsten geprägt?

Franz Josef Strauß hat in allen Bundesministerien, die er leitete, besondere Verdienste erworben, herausragend waren aber diejenigen als Verteidigungsminister sowie als Finanzminister. Als Verteidigungsminister hat er das unbestreitbare Verdienst, an führender Stelle die Bundeswehr aufgebaut zu haben, sie in die NATO integriert zu haben, die vorliegenden Konzepte für Soldaten als ‚Bürger in Uniform‘, die ‚Innere Führung‘ sowie eine klare Unterordnung des Militärs unter die politische Führung umgesetzt zu haben. Hinzu kamen die Schaffung einer modernen Organisationsstruktur, die Ausrüstung und Entwicklung einer Verteidigungsstrategie im Rahmen der NATO. Die heute wieder aktualisierten Pläne zum Aufbau bzw.  zur Stärkung einer europäischen Militärstrategie und Verteidigungsfähigkeit Europas hat Strauß bereits am Ende der 1950er Jahre verfolgt. Als Bundesfinanzminister reformierte er wesentliche Teile der Finanzverfassung, entwickelte die Mittelfristige Finanzplanung und erreichte einen ausgeglichenen Bundeshaushalt, die „schwarze Null“, – was vierzig Jahre lang nicht wieder gelang. Mit dem sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Karl Schiller wirkte er in der damaligen Großen Koalition 1966 bis 1969 konstruktiv auf zentralen Feldern der Wirtschafts- und Finanzpolitik zusammen.

HSS: Als CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident war Franz Josef Strauß auf unterschiedlichsten politischen Feldern gestaltend aktiv. Welche politische(n) Leistung(n) bewerten Sie als seine historisch bedeutendste(n) für die CSU und für Bayern?

Schon in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und Bundesminister unterstützte Franz Josef Strauß nachhaltig die Modernisierungspolitik in Bayern, unter anderen die Industrieansiedlung und moderne Technologien wie die friedliche Nutzung der Atomkraft, die Flugindustrie u.a.m. Als Ministerpräsident seit 1978 konnte er an eigene Initiativen sowie die von ihm unterstützten Vorgänger nahtlos anknüpfen. Ein bis heute entscheidende Bedeutung hat dabei die Durchsetzung des lange geplanten Flughafens im Erdinger Moos, die ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor geworden ist. Außerdem setzte der entschiedene Föderalist und Europäer auf Bundesebene zahlreiche Hilfen für Familien, Landwirte und Industrie durch. Als Generalsekretär, Stellvertretender Vorsitzender und schließlich Vorsitzender der CSU seit 1961 verschaffte der von 1949 bis 1978 schwerpunktmäßig als Bundespolitiker wirkende Strauß Bayern bundespolitisches Gewicht, nicht zuletzt durch die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU, die er selbst 1949 mit Fritz Schäffer eingeleitet hatte. Unionsgeführte Bundesregierungen wären ohne die CSU kaum möglich gewesen.

HSS: Obwohl er zeitlebens weder Außenminister war noch jemals dem Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages angehörte, hat Franz Josef Strauß die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland von den 1950er Jahren bis zu seinem Tod im Oktober 1988 maßgeblich mitgestaltet und geprägt. Das Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-Seidel-Stiftung, wo der Nachlass von Strauß verwahrt wird, verzeichnet für die Jahre 1952 bis 1988 mehr als 600 Auslandsreisen in 63 verschiedene Staaten. Welche Missionen halten Sie für seine wichtigsten diplomatischen Initiativen?

Die außenpolitischen Initiativen von Strauß waren so zahlreich und in vielen Fällen auch gewichtig, dass es kaum möglich ist, sie kurz zu charakterisieren. Die fundamentale außenpolitische Leistung war es zweifellos, die maßgeblich von Konrad Adenauer betriebene Westintegration  seit den frühen 1950er Jahren durchgesetzt zu haben. Sie erscheint heute selbstverständlich, ja „alternativlos“, war es aber damals keineswegs, Strauß und die CSU wurden zu den wichtigsten und unentbehrlichen Verbündeten für Adenauers Außenpolitik. Als Verteidigungsminister war Strauß auch für einen Teil der Außenpolitik, die europäische und transatlantische Sicherheitspolitik, zuständig, die er ebenso energisch und erfolgreich betrieb. Eine nicht allein wirtschaftspolitisch und technologisch, sondern auch außenpolitisch hervorragende Leistung bildete die Schaffung und der Ausbau der europäischen AIRBUS-Industrie, an der Strauß führend Anteil hatte. Für Bayern wirtschaftspolitisch bedeutsam war auch die China-Politik von Strauß, die 1975 mit dem Besuch bei Mao begann. Strauß besaß weltweit politisches Gewicht und wurde von allen führenden Staatsmännern der Welt empfangen.   

HSS: Wenn Strauß als bayerischer Ministerpräsident internationale Kontakte pflegte, begleiteten ihn Bedenken und mitunter gar Vorwürfe, er würde in den Zuständigkeiten des Außenministers und des Bundeskanzlers „wildern“. Waren derartige Anwürfe staatsrechtlich und politisch berechtigt?

Solche Vorwürfe waren weder staatsrechtlich noch politisch berechtigt. Zum einen findet moderne Außenpolitik nicht allein auf der bilateralen Ebene der Außenministerien statt, sondern wird gerade in  der Europapolitik von den meisten Ministerien betrieben, in der Kultur-, Wissenschafts– und Wirtschaftspolitik auch von den Ländern sowie zahlreichen Organisationen und weiteren Akteuren. Politisch an der außenpolitischen Aktivität von Strauß Kritik zu üben, verrät mangelndes Verständnis unseres parlamentarischen und föderativen Systems. Selbstverständlich beteiligte sich Strauß wie andere Spitzenpolitiker und Parteivorsitzenden auch, an der Diskussion über Außenpolitik und an Gesprächen mit ausländischen Politikern. Etliche, natürlich nicht alle, seiner außenpolitischen Engagements erfolgten auch in Absprache mit den Bundeskanzlern. Die Reibungen mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher waren aufgrund ihrer individuellen Unterschiede, koalitionspolitisch und natürlich auch vom jeweiligen Amtsverständnis aus beider Perspektiven begründbar.        

HSS: Die von der sozialliberalen Koalition ab Ende 1969 eingeleitete Kurskorrektur in der Ost- und Deutschlandpolitikpolitik („Wandel durch Annäherung“) lehnte Strauß vehement ab, weil er argwöhnte, durch einseitige Vorleistungen würden zentrale Positionen und Ziele der Unionsparteien aufgeweicht. Nach der Fixierung der gegenseitigen staatsrechtlichen Anerkennung im „Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR“ setzte Strauß gegen erhebliche Widerstände selbst in der CSU-Landesgruppe im Bundestag und in der Bayerischen Staatsregierung schließlich durch, dass Bayern unter Ministerpräsident Goppel im Mai 1973 vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Normenkontrollklage gegen den Grundlagenvertrag einreichte. Wie beurteilen Sie rückblickend betrachtet die Bedeutung des „Ganges nach Karlsruhe“ mit Blick auf den weiteren Weg zur deutschen Einheit, die Strauß durch seinen frühen Tod bedauerlicherweise nicht mehr erleben konnte?

Der Gang nach Karlsruhe war notwendig, weil er alle Verfassungsorgane der Bundesrepublik nachdrücklich auf die grundgesetzliche Verpflichtung hinwies, alles zu tun, was die Wiedervereinigung fördere und alles zu unterlassen, was sie behindere. Im übrigen war Strauß kein grundsätzlicher Gegner der Ost-und Deutschlandpolitik, sondern bekämpfte die vor allem von Willy Brandt und Egon Bahr betriebene Form sowie die Tatsache, dass in den Verträgen, zuerst dem Moskauer von 1970, das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen (und aller anderen Völker) unerwähnt blieb. Hierin sah er die Gefahr, dass auf das Ziel der Wiedervereinigung faktisch verzichtet würde. 

HSS: Mit welcher Strategie und mit welchen Initiativen würde Strauß heute der in Europa verbreiteten Tendenz zur Entsolidarisierung und Re-Nationalisierung begegnen?

Diese Frage ist nur spekulativ zu beantworten. Doch eins ist klar: Strauß war ein überzeugter Befürworter der europäischen Integration, was indes nicht heißt, jeder Form der Integration. So wollte er klar umrissene Länderrechte erhalten und damit ein stark akzentuiertes Subsidaritätsprinzip. Er war ein Patriot, kein Nationalist, und hätte mit Sicherheit gegen die Re-Nationalisierung in Europa, also auch in Deutschland, gekämpft. Und schließlich hätte der auf Solidität bedachte Finanzpolitiker wohl kaum einer europäischen ‚Schuldenunion‘ ohne jeweilige solide nationale Haushaltspolitik gebilligt.

HSS: Herr Prof. Möller, vielen Dank für das Interview.

Leiterin Akademie für Politik und Zeitgeschehen

Prof. Dr. Diane Robers