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Das außen- und sicherheitspolitische Denken von Franz Josef Strauß

Obgleich er nie das Amt des Außenministers bekleidete, hat Franz Josef Strauß die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte hinweg zweifelsfrei geprägt. Unter der Moderation von Dr. Martina Steber, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, diskutierten Prof. Dr. Johannes Großmann, Universität Tübingen, Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, Hanns-Seidel-Stiftung, und Dr. Klaus Rose, ehem. Staatssekretär im Verteidigungsministerium, seine außenpolitischen Beweggründe und Maximen.

Klaus Rose, Johannes Großmann, Martina Steber, Ursula Männle, Reinhard Meier-Walser

Klaus Rose, Johannes Großmann, Martina Steber, Ursula Männle, Reinhard Meier-Walser

HSS

Zunächst erörterte die Runde Strauß’ Selbstverständnis als Außenpolitiker. Während seine politischen Ämter, u.a. bayerischer Ministerpräsident und Verteidigungsminister der Bundesrepublik, nur bedingt ein außenpolitisches Profil erforderten, habe sich Strauß durchweg außen- und sicherheitspolitisch engagiert. Dieses durchaus ungewöhnliche Engagement basiere u.a. auf biographischen und politischen Faktoren. Zum einen spielten Strauß’ Erfahrungen als Soldat während des Zweiten Weltkrieges eine wesentliche Rolle. Geprägt durch die Kriegserfahrung habe er Außenpolitik im Sinne von Bündnispolitik verstanden, die er als Voraussetzung für Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa erachtet habe. Des Weiteren hätte auch sein Netzwerk an internationalen Kontakten dazu beigetragen, außenpolitisch tätig zu werden. Gerade weil in der Nachkriegszeit Parteistrukturen noch gering ausgeprägt waren, habe Strauß weniger traditionelle Kanäle genutzt, sondern sich vielmehr auf seine Kontakte aus Wirtschaft, Rüstung, Wissenschaft und Kultur gestützt. Zum anderen hätten Außen- und Sicherheitspolitik zu Zeiten des Kalten Krieges generell einen bedeutend höheren Stellenwert gehabt. Angesichts des Eisernen Vorhangs und der Bedrohung durch die Sowjetunion seien Außen- und Sicherheitspolitik eine politische Notwendigkeit gewesen, der man sich als deutscher Politiker nicht habe entziehen können.

Anschließend ging die Runde der Frage nach, wie man Strauß’ außenpolitisches Handeln geistesgeschichtlich verorten könne. Hierbei waren sich die Experten einig, dass Strauß aufgrund seines pragmatischen, interessengeleiteten und daher nicht unumstrittenen Politikstils der Realistischen Schule der Internationalen Politik zugeordnet werden könne, deren Politik an den Kategorien Interesse und Macht ausgerichtet ist. Dieses außenpolitische Denken könne man auch an seiner intellektuellen Nähe zum ehem. amerikanischen Außenminister Henry Kissinger festmachen. In diesem Kontext ließen sich auch Strauß’ Kontakte mit nicht-demokratischen Regimen in Asien, Lateinamerika und Afrika erklären, die unter moralischen Gesichtspunkten kritisiert wurden. Jedoch habe Strauß seine Verbindungen auch genutzt, um im Dialog auf Menschenrechts- und Demokratiedefizite in den jeweiligen Ländern aufmerksam zu machen und so den Transitionsprozess voranzutreiben.

Zentrales Anliegen für den Außenpolitiker Strauß sei aber immer die Gewährleistung der deutschen Sicherheit gewesen, für die er zwei Dinge als unabdingbar erachtet habe: die Schutzgarantie durch die USA und die Re-Integration der BRD in Westeuropa. Das amerikanisch-französische Zerwürfnis in Folge der Suez-Krise 1956 habe allerdings das Verfolgen beider Ziele erschwert, wodurch Strauß’ Europa- und Amerikapolitik nicht immer eindeutig zu fassen seien. Zwar sei Strauß für starke transatlantische Beziehungen eingetreten, dennoch sei er gegenüber dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy skeptisch eingestellt gewesen. Diese Skepsis habe unter anderem auf der Angst beruht, die USA könnten ihrer Bündnispflicht laut Art. 5 des Nordatlantikvertrages nicht nachkommen und Deutschland sich selbst überlassen, sollte es zu einer militärischen Konfrontation mit der Sowjetunion kommen. Aus diesem Grund habe Strauß weiterhin für eine Annäherung an Frankreich plädiert und Präsident Charles de Gaulles Vorstellung eines starken und autonomen Europas der Vaterländer geteilt. Aufgrund dieser Äquidistanz zu den USA und Frankreich habe er auch ein deutsches Mitspracherecht innerhalb der NATO als gleichberechtigter Partner verfolgt, das nicht zuletzt in den Verhandlungen um eine nukleare Teilhabe der BRD Ausdruck gefunden habe.

 

Neben den transatlantischen Beziehungen und der Integration Europas stellte für Strauß die Wiedervereinigung Deutschlands eines seiner wichtigsten politischen Ziele dar, für die er sich bis zuletzt eingesetzt, sie selbst aber nicht mehr miterlebt habe. Sein Engagement spiegle sich in seinem Festhalten am Alleinvertretungsanspruch der BRD und der Hallstein-Doktrin wider sowie in seiner strikten Ablehnung der Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition. Auch im von Bayern angestrebten Normenkontrollverfahren gegen den Grundlagenvertrag von 1972 und in der Vermittlung des Milliardenkredits der BRD an die DDR im Jahr 1983 habe er eine maßgebliche Rolle übernommen. Darüber hinaus habe er nie einen Hehl aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Kommunismus gemacht, wobei er die unterschiedlichen kommunistischen Bewegungen in der Sowjetunion und China jedoch differenziert betrachtet habe. So habe er die Sowjetunion nicht zuletzt aufgrund der geographischen Nähe zur BRD und ihrem Expansionsstreben als weitaus gefährlicher erachtet als die Volkrepublik China, die er durch seinen Besuch 1975 als Partner gewinnen wollte.

 

In ihrer Schlussbetrachtung beurteilten die Experten das Vermächtnis des „inoffiziellen“ Außenpolitikers Strauß. Einerseits habe Strauß Außen- und Sicherheitspolitik bereits früh als Querschnittsaufgabe verschiedener Politikbereiche verstanden und zu verbinden gewusst. Andererseits habe er bereits damals einen erweiterten Sicherheitsbegriff über territoriale Integrität hinaus verwendet und durch sein kritisches Augenmerk auf sicherheitspolitische Handlungsbedarfe hingewiesen. Angesichts seines außenpolitischen Verständnisses und seiner an langfristigen Zielen orientierten Politik sei er daher im gleichen Zug wie Konrad Adenauer und Willy Brandt zu nennen.