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Vierte Partei

Die Bildung der Sozialliberalen Koalition nach der Bundestagswahl 1969 wies den Unionsparteien erstmals in ihrer Geschichte die Rolle der Opposition zu. Damit war eine politische Lage geschaffen, die eine völlige Neubewertung der strategischen Ziele der CDU/CSU erforderte und an deren Ende die Ablösung der Regierung stehen sollte. Nachdem erste Versuche, die FDP im Bundestag über Fraktionswechsel zu schwächen bzw. die erste Regierung Brandt durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen, erfolglos blieben, griff man in der Union schon im Vorfeld der Bundestagswahl 1969 frühere Überlegungen auf, das bestehende Parteienspektrum aus CDU/CSU, FDP und SPD durch die Schaffung einer weiteren bürgerlich-konservativen Partei aufzubrechen. Die ablehnende Haltung bürgerlicher Kreise gegenüber den Reformvorhaben der sozialliberalen Koalition in den Bereichen Bildungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik und gegen die unter dem Schlagwort "Wandel durch Annäherung" begonnene Neuorientierung in der Deutschland- und Ostpolitik schienen dieses Vorhaben zu befördern. Wegen seiner regierungskritischen Haltung erschien Franz Josef Strauß bürgerlichen Wählern gleichsam als Führungspersönlichkeit einer sich außerhalb bestehender Strukturen allmählich formierenden konservativen Bewegung.

Parallel dazu bestanden innerhalb der CSU taktische Überlegungen, sich auf Bundesebene auszudehnen. Damit sollte verunsicherten CDU-Wählern eine Alternative zur CDU angeboten werden, um so langfristig einen Regierungswechsel herbeizuführen. So duldete man etwa sogenannte CSU-Freundeskreise, die sich als Basis einer künftigen Landesorganisation außerhalb Bayerns verstanden. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung dann im "Kreuther Beschluss" von 1976, als die CSU die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU kurzzeitig aufkündigte. Mit der Rücknahme des Beschlusses, der Einigung der Union auf den gemeinsamen Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 1980 sowie der Übernahme der Regierung 1982 wurden diese Überlegungen schrittweise aufgegeben. Franz Josef Strauß selbst äußerte sich etwa auf dem CSU-Parteitag 1986 rückblickend über die damalige Situation mit den Worten ".... Der Weg war ohne Zweifel überlegenswert, aber er war nicht gangbar" und erteilte damit neuerlichen Bestrebungen zur Gründung einer vierten Partei eine klare Absage.

Nach dem Tod von Franz Josef Strauß wurde das Thema einer Ausbreitung der CSU über Bayern hinaus im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung erneut diskutiert, jedoch nach Konsolidierung der Parteienlandschaft in den neuen Ländern endgültig aufgeben. Dies bedeutete auch das Ende des bis dahin bestehenden Engagements der CSU für die hauptsächlich in Sachsen tätige Deutsche Soziale Union (DSU). Sie konnte zwar wie andere in den Jahren 1989/1990 bestehende rechtskonservative Parteien zeitweise überregionale Erfolge erringen, ist aber heute meist nur noch auf kommunaler Ebene aktiv.

Neben anderen Gründen scheiterten die im Zeitraum von 1968 bis 1979 mit dem Schlagwort "Vierte Partei" bezeichneten bürgerlich-konservativen Gruppierungen wie etwa der Bund freies Deutschland oder die Aktionsgemeinschaft Vierte Partei letztlich am Anspruch, als autonome Partei auftreten und gleichzeitig ideologisch-programmatische Ziele der CDU/CSU unterstützen zu wollen.

Kreuther Beschluss

Im August des Jahres 1949 hatten sich die Abgeordneten von CDU und CSU zur Bildung einer gemeinsamen Fraktionsgemeinschaft entschlossen. Seitdem kam es immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden Parteien über Grundsatz- und Strategiefragen. Die Vereinbarungen mit der CDU wurden dann erstmals 1957 schriftlich fixiert und am 11. Oktober 1965 der veränderten politischen Lage angepasst. Grundlage einer jeden Übereinkunft zwischen den beiden Unionsparteien war seit 1949, dass zu Beginn der Legislaturperiode die Mitglieder der CSU-Landesgruppe autonom über eine Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft beschlossen.

Um die anstehenden Fragen für die Arbeit während der 8. Legislaturperiode zu beraten, trafen sich die Mitglieder der Landesgruppe, zu denen auch der Parteivorsitzende Franz Josef Strauß gehörte, unter der Leitung ihres neu gewählten Vorsitzenden Friedrich Zimmermann am 18. November 1976 zu einer Klausurtagung in Wildbad Kreuth. Erörtert wurden u.a. das Verhältnis zur FDP, die unterschiedlichen Auffassungen der beiden Schwesterparteien über die Arbeit als Opposition sowie strategische Überlegungen über eine Neuorientierung der Parteienlandschaft mit einer eventuellen Ausdehnung der CSU als vierte Partei auf das Bundesgebiet. Im Verlauf der allgemeinen Aussprache kam es nach rund zehnstündiger Diskussion zu einer Abstimmung über die Frage, ob die CSU in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages eine eigene Fraktion bilden solle. Von den 50 anwesenden Mitgliedern der CSU-Landesgruppe stimmten schließlich 30 Abgeordnete zu, während sich 18 Abgeordnete gegen diesen Beschluss aussprachen.

Die Entscheidung der Landesgruppe und Spekulationen zur Rolle von Franz Josef Strauß bei deren Zustandekommen bestimmten in den folgenden Tagen die Schlagzeilen deutscher und internationaler Zeitungen. Um der Kritik an dem auch in den eigenen Reihen heftig diskutierten  und von großen Teilen der Partei abgelehnten Trennungsbeschluss zu begegnen, informierten der Parteivorsitzende und der Vorsitzende der Landesgruppe, Franz Josef Strauß und Friedrich Zimmermann, zunächst die Mandats- und Funktionsträger am 22. November in einem gemeinsamen Schreiben. Am 4. Dezember folgte eine Sondernummer des Bayernkurier, die den Anhängern der CSU die Hintergründe des Beschlusses erläuterte.

Aufgrund der durch den Beschluss geschaffenen Lage kam es in den folgenden Wochen zu harten Verhandlungen zwischen den beiden Parteivorsitzenden Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, die von der Wahl eines eigenen CDU-Fraktionsvorstandes am 1. und 7. Dezember begleitet wurden. Schließlich konnten durch die Delegationen beider Parteien zwei Tage vor der konstituierenden Sitzung des 8. Bundestages, am 12. Dezember 1976, Vereinbarungen über die Grundlagen der politischen Zusammenarbeit sowie die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU erzielt werden, die in ihrem Kern eine Stärkung der Landesgruppe bedeutete.

Tondokument: Statement vom 20. November 1976 zum Beschluss der CSU, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU nicht mehr fortzusetzen

Tondokument: Statement vom 11. Dezember 1976 zur möglichen Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU 

Titelblatt der "BFD-Nachrichten" über die Konstituierung des Bundes Freies Deutschland im Oktober 1974 in Berlin

ACSP, NL Strauß PV 8580

Karikatur von Horst Haitzinger im Kölner Express 1976 zu den Aussichten der CDU/CSU bei der Bundestagswahl 1976

Horst Haitzinger, München; ACSP, NL Strauß Slg Kray

 

 

Karikatur von Paul Schmolze in der Schwäbischen Zeitung 1976 zur Auflösung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU

Paul Schmolze; ACSP, NL Strauß KA PV 23